Besuch im Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt

25. Nov 2013

Keine andere Stadt eignet sich für eine 10er-Klassenfahrt besser als Berlin. Hauptstadtflair; Regierungsviertel; preußische, nationalsozialistische und DDR-Geschichte; Museumsinsel und vielfältige Kultur bis hin zum unvermeidbaren Discoabend – Berlin hat wirklich alles zu bieten. Vom 14. – 18. Oktober 2013 waren unsere Kollegen Heidi Delf und Karl-Heinz Schmitte mit der Klasse 10 A der Bottroper Willy-Brandt-Gesamtschule in Berlin. Neu im Berliner Klassenfahrtsprogramm war eine Führung durch das Otto-Weidt-Museum. Bei bisherigen Besuchen der attraktiven und bekannten Hackeschen Höfe der Eingang des Museums bislang gar nicht aufgefallen. Vom S-Bahnhof kommend befindet sich der Eingang, gekennzeichnet durch ein kleines Hinweisschild, nur wenige Meter rechts vom Eingang der Hackeschen Höfe entfernt.

Otto Weidt, selbst stark sehbehindert, verlegte 1940 seine Besen- und Bürstenbinderei in die Rosenthaler Straße 39. Fast alle seine Angestellten waren blinde, stumme und taube Menschen jüdischer Herkunft. Ähnlich wie Oskar Schindler gelang es ihm, Aufträge der Wehrmacht zu bekommen, als „wehrwichtiger Betrieb“ anerkannt zu werden und in vergleichbarer Weise nutzte Weidt seinen Betrieb, um Juden vor der Deportation zu schützen.
Zu ihnen zählte die Jüdin Inge Deutschkron, die wir am 16. Oktober 2013 im Museum antrafen. Sie musste sich aufgrund einer Verfügung aus dem Jahre 1940 eine Arbeit in einer Fabrik suchen. In diesem Zusammenhang suchte sie im April 1940 Otto Weidt auf, von dem es hieß, dass er Juden gut behandeln würde. Otto Weidt bestellte sie anderntags zum Arbeitsamt für Juden, wo er noch andere Juden einstellen wollte. Eine Misslaune des Leiters der Dienststelle Alfred Eschhaus führte dazu, dass Inge Deutschkron nicht zu Otto Weidt, sondern zur ACETA, einer Tochterfirma der IG-Farben in Lichtenberg musste, um Fallschirmseide zu produzieren. Mit Hilfe einer List konnte sie dort aber nach einiger Zeit ihre Entlassung erwirken. Da sie als Jüdin weder auf der Arbeit, noch in öffentlichen Verkehrsmitteln sitzen durfte, musste sie 13 Stunden täglich stehen. Eines Tages kam ihr die Idee, Tanzschuhe mit hohen Absätzen zur Arbeit anzuziehen. Als Folge konnte sie bald ihr rechtes Knie nicht mehr bewegen, sodass IG-Farben sie wieder entließ. Otto Weidt, begeistert über diese List, setzte einen 2. Termin bei Eschhaus an. Dieses Mal brachte Weidt ein Paket für Eschhaus mit. (Durch seine Geschäfte hatte Weidt sich einen finanziellen Spielraum für Bestechung geschaffen.) Weidt konnte Inge Deutschkron auf diese Weise für seinen Betrieb bekommen, obwohl er eigentlich gar keine Arbeit für sie hatte.


Anfang 1943 versteckte Otto Weidt Chaim Horn, der seine Deportation befürchtete, und seine Familie (Machla, Max und Ruth Horn) in einem fensterlosen Raum seiner Werkstatt. Das Zimmer nutzten sie als Schlafzimmer. Tagsüber arbeiteten sie in der Werkstatt.  Der Eingang des Zimmers wurde durch einen Schrank versteckt.  Irgendwann im Jahre 1943 unternahm Chaim Horn einen Spaziergang in Berlin, wohl weil er die Enge seines Verstecks nicht mehr aushielt. Auf der Straße begegnete ihm ein jüdischer Bekannter, Rolf Isaaksohn. Dieser hatte sich seine Freiheit durch Spitzeldienste für die Nazis erkauft, ohne das Horn davon wusste.  Erfreut darüber, mit einem Juden sprechen zu dürfen, erzählte Chaim Horn auch von seinem Versteck.   Anfang Oktober 1943 erfuhr die Gestapo vom Versteck und führte eine Razzia durch. Familie Horn wurde am 14. Oktober 1943 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet.    –     Ihre „Stolpersteine“ stehen vor dem Haus Großbeerenstraße 92 in Kreuzberg.

Ein junger Geschichtsstudent, der uns am 16. Oktober 2013 durch das Museum führte, zeigte sich sehr beeindruckt vom Mut und von der Cleverness Otto Weidts. Seine Kontakte und seine Bestechungen (die führende Nazis hätten bloßstellen können) trugen dazu bei, dass die Nazis kein Interesse an einem Verfahren gegen ihn entwickelten.

Otto Weidt wird seit dem 7. September 1971 von „Yad Vashem“, der „Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust“  als „Gerechter unter den Völkern“ anerkannt.